29. Juni – Tallinn
Durch unsere ewige Rastlosigkeit hatten wir es ja schon immer komfortabel, bei den Challenges mit einem Tag Vorsprung zu arbeiten. Meistens brauchte man nur die Reihenfolge etwas ändern und schon hatte man einen halben Tag Fahrerei oder einfach nur Warterei auf den Folgetag und dessen Challenge gespart. Wir wurden oft gefragt, warum wir denn so schnell durch die Gegend fahren würden, aber aus unserer Perspektive scheint es eher so zu sein, dass die anderen bummeln würden. Wenn die anderen Teams dann auch noch davon erzählen, dass sie zwischen den festen Geschwindigkeitskontrollen oft statt nur 90 Km/h lieber 140 km/h fahren würden und auch einige empfohlene Sehenswürdigkeiten auslassen, die wir fast alle brav mitnehmen und uns auch darüber freuen, all die tollen Sachen live sehen zu dürfen, kamen wir erst recht ins Grübeln. Ganz zu schweigen davon, wie ein auf den so schnell fahrenden Wagen aufprallender Elch mit 800 Kilo oder so auf die Karosse einwirkt. Da sind es bei 80 oder 90 Km/h schon humanere Kräfte, die nicht gleich den Tod der Fahrzeuginsassen eher garantiert, als “nur“ in Aussicht stellt.
Wie auch immer, wir hatten einen ganzen Vormittag Zeit, uns in Ruhe Tallinn anzusehen. Denn die Partylocation war nur ungefähr 45 Minuten von Tallinn entfernt.
Abgesehen von der Tatsache, dass diese aufgrund extra rudimentär gehaltener Informationen erst wieder mühsam gefunden werden musste, war der Aufwand zeitlich abzuschätzen.
Was man über Tallinn, bzw. über das nördlichste Land der drei Baltikstaaten sagen kann, ist, dass dieses Land einen gewissen Wohlstand erreicht hat und diesen auch in die Infrastruktur einfließen lässt. Mittelalterliche Gebäude gibt es dort reichlich und fast alle sind in einem perfekten Zustand versetzt worden.
Stadtmauern, alte Bürgerhäuser in der Innenstadt, die insgesamt sehr mittelalterlich mit schmalen Gassen, Gängen und langen Treppen alles miteinander verbinden, versprühen einen sehr angenehmen Charme.
Natürlich gibt es auch in einer so schönen Stadt noch das eine oder andere Stiefkind, dass behütet werden will, aber das ist die große Ausnahme.
Zu empfehlen ist dann das mitten in der Fußgänger liegende Erlebnis-Restaurant „Olde Hansa“ mit großer Außengastronomie, das sowohl draußen als auch drinnen eine Zeitkapsel ins Mittelalter öffnet, der man nicht entgehen kann. Bis ins kleinste Detail – natürlich in EU Norm ausgeführt – sieht, fühlt und hört man das Mittelalter, inclusive aller Menschen die in diesem Haus arbeiten. Sogar in den Toiletten. Musiker spielen in der Fußgängerzone vorm Haus mittelalterliche Musik, die mit unauffälligen kleinen Modifikationen selbst Musik mit einem Dudelsack und einer Trommel mittelalterlich, aber irgendwie zeitgemäß wirken lässt.
Da es dort kostenloses und unbegrenztes WLAN gab und ich mein Handy durch mehrmaliges Fallenlassen komplett zerstört hatte, ich hatte keinen Zugriff mehr, konnte ich dort das neue Handy die benötigten 40 Gb Sicherungsdaten downloaden lassen. Nebenbei gab es sehr leckeres sogenanntes Root-Bier ohne Alkohol – in Estland ist 0,0 Promille – und einen definitiv komplett frisch zubereiteten Salat. Zu einem der Location entsprechend günstigen Preis.
Irgendwann war es 14 Uhr und es ging zur Party. Auf dem Tracker konnten wir sehen, dass einige schon vor Beginn, der um 16 Uhr angesetzt war, ihr Lager aufschlugen. Der Letze Weg führte uns ca. 1,5 Kilometer tief in einen Wald.
Da seit langem eine größere Pause ohne Fahren anstand, gab es sorgenfreies Bier, während auch wir unser Lager auf- und hunderte Fliegen, Mücken und Gnitzen an unseren Körpern totschlugen.
Um 19.00 Uhr ging es dann zu einem monumental großen Tipi, in dem eine ca. 4 Meter runde Feuerschale unter einem gigantischen Rauchabzugstrichter brannte. Dort gab es vorab eine deftige Suppe mit tiefschwarzem Brot, später dann Fleisch mit Kartoffelstampf und netten Beilagen, wie Gurken, Silberzwiebeln, Rote Bete und und und. Und Freibier natürlich.
30. Juni Estland / Lettland
Danach hatten wir noch eine Herzensaufgabe: Matti seinen Cousin und seine Frau in Otepää/Estland Grüße aus Oldenburg zu bestellen. Sie hatten sich sehr über diesen extra auf einem kleinen Umweg ausgelieferten Gruß gefreut und verewigten sich dafür auf unserer Motorhaube.
Danach hatten wir für uns nur noch einen Auftrag: Auf nach Lettland, Riga ansehen und für uns selbst bewerten. Riga kann irgendwann einmal sehr schön werden, aber bis dahin müssen Lettland und die EU wohl noch eine Menge Geld investieren. Der Sozialismus hat überall noch offen seine Spuren zur Schau gestellt und man wäre wohl enttäuscht, wenn es nicht schon sehr viele geschichtsträchtige Gebäude geben würde, die mit viel Liebe in Top Zustand versetzt wurden.
Ein schönes Ding sind die Bremer Stadtmusikanten, die eine Bremer Künstlerin 1990 der alten Hansestadt Riga gespendet hatte: Meiner Meinung nach hatte der Esel Probleme mit einem leichten Unterbiss, den ich aber auf die Schnelle nicht korrigieren konnte.
Eigentlich hatten wir vor, noch eine Nacht in Lettland zu bleiben, aber wir hatten das Gefühl, dass eine Weiterfahrt Richtung Polen auch ein schöner Tagesabschluss sein kann, und ich während der Fahrt diesen Blog fertigstelle…